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Dirk, Myself and I – Meine Hommage

von Johannes Schierwater

Der wichtigste Sportler meines Lebens beendet seine Karriere.

„Es passt noch!“, denke ich als ich mich hineinzwänge und meinen Bauchnabel im Spiegel sehen kann. Das weiße Dallas Mavericks Trikot mit der blauen Nummer 41 in Größe S. Mein Weihnachtsgeschenk als ich zwölf Jahre alt war. Mit diesem Trikot ging für mich eine persönliche Reise los.

Ich trug es während meines ersten Rap Konzerts, auf der Kerwe zu meinen Baggies und allein auf dem Schulhof. Bis es dunkel wurde brachte ich mir Basketball spielen quasi selbst bei. Ich imitierte den „Flamingo Shot“ bevor es diesen Begriff überhaupt gab. Ich hatte nie ein echtes Spiel gesehen. Ich hatte nur NBA Live am Computer gespielt und dieses Trikot. Das reichte, um mir das Lebensgefühl „Ball is Life“ für immer einzubrennen.

Heute, 14 Jahre später, merke ich, dass dieses kleine Stück Kunststoff mit dem aufgestickten NBA-Logo immer ein Wegweiser war. Ich habe unzählige Spiele live gesehen, stehe nachts für die NBA auf, verbrachte viele Sommer auf dem Freiplatz. Meine Freunde sind Basketballer.

Wirf die Hits wie / Dirk Nowitzki

Sommer 2011 – das Abitur ist geschafft. Das Leben schmeckt nach Bier und Freiheit. Fünf Jungs sitzen nachts in einem Strandhaus in Portugal und streamen: „Dörk“ steht in den NBA-Finals. Die Blütezeit seiner Karriere liegt hinter ihm. Fünf Jahre zuvor unterlag er den Miami Heat. Mit einem Underdog-Team erkämpft er sich die zweite Chance auf seinen Ring. Er spielt groß auf: raffiniert, routiniert, nicht zu stoppen. Einen derart fokussierten Blick habe ich nie zuvor bei einem Sportler gesehen. Als er es schaffte, bricht es aus ihm heraus – aus uns auch! Der Trubel, der Jubel, es ist ihm zu viel. Er rennt in die Kabine, überwältigt aber menschlich. Nicht die Fußball-WM im eigenen Land, nicht Usain Bolts Weltrekord, diese Nacht in Portugal bleibt das größte Sportereignis, das ich je sehen durfte.

Dirk ist einer der größten deutschen Sportler aller Zeiten. Er ist ein Superstar, der weder abgehoben noch scheu ist. In Dallas wird er geliebt, im amerikanischen Basketball verehrt. Dafür, dass er immer er selbst, immer echt geblieben ist. In Zeiten, in denen die Sportwelt nach unantastbaren Figuren wie LeBron oder Ronaldo ächzt, ist der lockere Würzburger eine Alternative. Er ist bescheiden, nahbar und humorvoll. Das schätzen nicht nur seine Spielerkollegen und Trainer, sondern auch Journalisten. Er steht für Werte wie Arbeitsmoral und Teamplay. Seine Anti-Superstar Rolle machte ihn zum Superstar – in Dallas und auf der ganzen Welt.

In Deutschland veränderte Dirk die Wahrnehmung des Sports und stellte eine wachsende Verbindung zur besten Liga der Welt her. Heute sind so viele deutsche Talente wie noch nie bei NBA Clubs unter Vertrag. Es ist das Resultat einer Entwicklung und Förderung des Basketballs, die Dirk nicht nur passiv, sondern auch aktiv vorangetrieben hat.

Everything Is Bigger In Texas

Sein Stil auf dem Court prägte das Spiel über Generationen. Er veränderte es sogar maßgeblich. Der bewegliche Big Man mit hoher Spielintelligenz und eigenen Wurfkreationen. Diesen Standard hat er gesetzt. Bei keiner Flugkurve der Welt fallen die Bälle perfekter ins Netz – ein Handgelenk, weich wie Butter. Sechster in der All-Time Scoring Liste. Nicht ohne Grund zollten ihm NBA Legenden aus früheren wie heutigen Tagen Tribut nach seinem letzten Spiel im American Airlines Center.

Als die gesamte Arena nach dem Spiel in dunkles blau gedimmt wird, dämmert es allen. Es ist tatsächlich vorbei. Tränen in der Halle, bei ihm und bei mir. Ich bin einer von vielen, der eine ganz persönliche Geschichte zu „Dirkules“ aufgebaut hat. Er hat nicht nur die Identität seiner Stadt verändert, sondern die einer ganzen Sportart. Und meine eigene. Auch auswärts bekam er stehenden Applaus, als er während seiner Abschiedssaison noch einmal für ein paar Würfe über den Court wankte – sein Körper sichtlich geschunden nach 1667 NBA-Spielen. Am Ende seiner Karriere halte ich weiter an zwei Zielen meiner Bucket List fest: Die NBA Finals live erleben und mich bei Dirk persönlich bedanken.

Er hätte als Werbeikone sicherlich noch reicher werden können. Doch er blieb sich treu, nutzte seine Prominenz für wohltätige Zwecke. Vielleicht ist er auch deshalb für mich eine moderne Kultfigur in der Beziehung zwischen Deutschland und Amerika. Seine Geschichte verbindet uns, obwohl sie nicht nach Hollywood gehört.

Dank Dirk kann ich mich mit einem texanischen Sportfan in einer Bar in Dallas auf Augenhöhe über Basketball unterhalten. 21 Saisons beim gleichen Club. Das ist eine Vereinstreue, die es in der NBA noch nie gegeben hat. Eine eindrucksvolle Wertemarke, die der amerikanischen Sportkultur sicherlich guttut. Dass mein Dallas Trikot bis heute immer aktuell geblieben ist, verbindet mich nicht nur direkt mit meiner Jugend. Es macht mich stolz.

Der letzte Fade Away

Basketball war immer eine Konstante in meinem Leben – eine Leidenschaft, die nie langweilig wird. Ohne Dirk Nowitzki als Identifikationsfigur wäre ich nicht halb so interessiert daran. Mit ihm fing alles an, davon bin ich überzeugt.

Auch bei meiner Berufswahl hat mich Basketball in seinen Bann gezogen. Als Journalist Spiele zu kommentieren oder darüber zu berichten, darauf steuere ich zu. Es ist schon komisch, jetzt wo Dirk aufhört ist auch meine sportliche Karriere auf einem Tiefpunkt. Ich sitze hier mit Krücken nach einer Knöchel Operation, die vielen Sportverletzungen geschuldet ist – genau wie Dirk im letzten Sommer. Doch ich will nicht weiter melancholisch nach Parallelen suchen, sondern bleibe rational und komme schon irgendwie zurück. So denkt Dirk bestimmt auch.


Show some love for Dirk!

Bilder und Text von Johannes Schierwater (22.04.2019)